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Es ist noch früh am Mittwochmorgen, als der Staat in Lützerath endgültig Fakten schafft. Hundertschaften der Polizei ziehen einen Ring um den Weiler am Rand des Braunkohletagebaus Garzweiler II, nach Tagen des Regens ein matschiger Flecken Erde. Spezialkräfte rücken ins Dorf ein und beziehen vor den Häusern und Hütten Stellung. Räumpanzer rücken an, Wasserwerfer, Pferdestaffeln, Hunde, Höhenretter.
Mehr als 1.000 Beamtinnen und Beamte aus dem gesamten Bundesgebiet sind im Einsatz, um mehrere Hundert Aktivisten aus dem Ort zu befördern. Die wiederum schicken eine Verteidigungslinie an den Ortseingang. Steine fliegen, ein Molotowcocktail zieht eine Feuerspur. Lange hält die Kette nicht. Die Polizei greift entschlossen durch. Nasen bluten, Tränen fließen, Schreie der Solidarität hallen durch die Baumwipfel. Die Polizei zeigt sich unbeeindruckt. Sie will keinen Zweifel lassen: Lützerath soll fallen.
Es ist der Tag, den die Aktivistinnen und Aktivisten lange gefürchtet hatten. Der Beginn der Räumung jenes Ortes, den sie seit Monaten mit Symbolik aufladen. Für sie ist Lützerath nichts weniger als der entscheidende Kipppunkt, wenn es darum geht, das 1,5-Grad-Ziel doch noch zu halten. Bis zuletzt hatten sie und ihre Unterstützer gehofft, die Räumung in letzter Sekunde verhindern zu können. Am Montag scheiterte ein Eilantrag vor Gericht. Seit Mittwochmorgen sitzen die Aktivsten nun verbarrikadiert in den Häusern, harren auf Plattformen aus, hängen in Tripods, haben sich in ihre Baumhäuser zurückgezogen. Die Vorratskammern sind gefüllt, Handschellen und Vorrichtungen zum Anketten stehen bereit. Auch Windeln für Erwachsene wurden angeblich besorgt. Vorkehrungen für einen möglichst langen Widerstand.
Dina wohnt in einem der sieben noch verbliebenen Häuser im Ort, der Rest wurde bereits im vergangenen Jahr von RWE abgerissen. Jedes Haus, jeder Platz hat hier Namen. Paula, Phantasialand, Reihenhaussiedlung. Dina wohnt in der Wohngemeinschaft. Mit ihr etwa 20 Leute. Gemeinsam haben sie das Haus zu einer kleinen Festung ausgebaut. Die Eingangstüren sind mit Stahlträgern verrammelt, die Fenster mit Holzlatten, Platten und Gittern vernagelt. Im Erdgeschoss herrscht Finsternis. Das einzige Licht kommt von den Stirnlampen zweier Mitbewohnerinnen. Die beiden hatten bis zum Morgengrauen Nachtschicht geschoben, jetzt schneiden sie im schmalen Lichtkegel Mandarine und Apfel in einen Suppenteller. Sollte die Polizei ins Haus eindringen, sagt Dina, könnten sie zuvor die Treppe zerstören. Jede Aktion soll der Polizei möglichst große Probleme bringen und den Aktivisten Zeit verschaffen. Die ist für den Widerstand kostbar. Ende Februar endet die Rodungssaison. Bis dahin will RWE dem Vernehmen nach Lützerath mit seinem Wäldchen dem Erdboden gleichgemacht haben.
In einem winzigen Flur in der ersten Etage haben Loop und Noon ihren Notenständer aufgebaut. Die beiden Orchestermusiker spielen am geöffneten Fenster Inventionen von Bach, anschließend einen Tango. Um Moral und Stimmung zu heben. Unten stehen behelmte Beamte der Hundertschaft. "Wir sind hier, weil wir uns zur Mitte der Gesellschaft zählen", sagt Loop. "Und es ist die Mitte der Gesellschaft, die hier weggeräumt werden soll."
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Dina, 23, gelbe Mütze, Piercing in der Unterlippe, hat sich schon als Jugendliche dem Klimaprotest angeschlossen. Praktikum bei der Jugend des BUND, Hambacher Forst, seit zweieinhalb Jahren. Einen Ort der Beziehungen nennt sie den Weiler, weil die Menschen hier zu einer solidarischen Einheit zusammengewachsen seien. Die Bewohner der Dörfer und die Aktivisten, die von jenen vor zweieinhalb Jahren beflügelt vom Erhalt des Hambacher Forsts zur Unterstützung gerufen wurden. Inzwischen waren Zapatisten aus Mexiko hier, die Kurden, Greta Thunberg . Der Weiler Lützerath, nicht weit entfernt von Mönchengladbach, ist zur Megacity der internationalen Klimabewegung geworden.
Ja, es gebe auch die, die nichts vom Widerstand hielten, räumt Dina ein. Die, die einfach endlich in Frieden leben möchten, den sie seit Jahrzehnten nicht mehr haben. Zuerst kamen die Schaufelradbagger, dann der Protest, mit ihm vermummte Aktivisten und behelmte Polizisten in schwarzen Panzerungen. Frieden aber, sagt Dina, könne es hier erst geben, wenn die Bagger abziehen und die Kohle im Boden bleibt.
Im Moment aber ist erst mal wieder Krise. Nach den Zusammenstößen am Morgen herrscht zunächst stundenlang fast schon gespenstische Ruhe im Dorf. Nur Barrikaden werden entfernt, einbetonierte Stahlträger aus dem Boden geholt. RWE-Arbeitskolonnen in gelben Warnwesten errichten in beeindruckender Geschwindigkeit einen Zaun um Lützerath. Niemand soll mehr reinkommen.
"Räumpanzer vor Holzhütten, entschlossene Aktivisten auf Baumstelzen, blutende Nasen, Tränen und rigorose Polizisten: Der letzte Kampf um Lützerath hat begonnen. "
Die Tränen kann ich so gut verstehen.
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen. Danke, die Redaktion/SC
Ich gehe davon aus, dass der Staat spätestens morgen kurzen Prozess macht.
Es wird gegenseitige Provokationen geben und dann lässt es dir schwerer ausgerüstete Partei eskalieren. Man wird hier und da ein paar Exempel statuieren, vielleicht mit dem Schlagstock, einer Runde Pfefferspray oder auch Schüssen - bis die große Menge zurückschreckt, so wie es nur allzu menschlich ist bei Gefahr.
Am Abend klopft man sich auf die Schulter, der Kapitalist gibt eine lobende Pressemitteilung heraus und dann wird ordentlich abgebaut.
Ich empfinde es als besorgniserregend, wie die gesellschaftlichen Gruppen hier aufeinander losgehen und sich in billigen Vorwürfen ergehen. Und damit meine ich sowohl hier im Forum, als auch auf „freier Wildbahn“. Habgier, Rechtsbruch, Vetternwirtschaft, Terrorismus oder mutwillige Zerstörung (je nach Fasson des Klimas oder von Eigentum) sind die platten Argumente die aus den sozioökonomischen Blasen schallen. Nur an einer Stelle entsteht Einigkeit: „die Politik ist Schuld“. Des Pudels politischen Kern, drei aufeinanderprallende Krisen, deren Lösung zu unterschiedlichen energiepolitischen Implikationen führen, nährt sich dabei keiner.
Da wäre erstens die Klimakrise, die vor allem die Aktivisten antreibt. Ihnen geht es darum, so viel CO2 wie möglich einzusparen ... koste es, was es wolle. Energiepolitisch resultiert das in jeder Menge Ausstiegsszenarien: Atom (natürlich weniger mit Blick auf das Klima), Kohle, Öl und neuerdings Gas. Dem gegenübergestellt werden die Erneuerbaren, die allerdings mit einigen Problemen kommen: sie brauchen viel Platz (was zum Teil zu Konflikten mit der Umweltbewegung führt, die auch Teil der Klimabewegung ist), sie brauchen Ressourcen (Kapital, Material, Personal) und sind von Natur aus volatil. Wir haben daher ein Zeit und Ressourcenproblem, dass die Aktivisten ignorieren oder durch ein recht urban intellektuelles „Verzichts- und Deindustrialisierungsmantra“ beantworten, dass weit entfernt von irgendwelchen Mehrheiten ist.
Ein Moratorium fordern Wissenschaftler: https://de.scientists4future…
Entfernt. Bitte formulieren Sie Kritik sachlich und differenziert. Danke, die Redaktion/SC
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