Kurz vor Sessionsbeginn schreien sich hunderte Klima-Aktivisten auf dem Bundesplatz die Seele aus dem Leib. Nach Verhandlungen mit der Stadt Bern haben sie sich gegen Abend damit einverstanden erklärt, den Platz bis Dienstag zu räumen – zumindest grösstenteils.
Man werde bis Dienstagmorgen alle verschiebbaren Teile des Protestcamps «zur Seite schieben», sagte Frida Kohlmann, Sprecherin der Aktionswoche «Rise Up For Change», auf Anfrage. Zwei Zelte sollen stehen bleiben. Damit steht fest: Der Markt auf dem Bundesplatz kann morgen stattfinden.
Nach dem Wochenmarkt wolle man das Protestcamp vor dem Bundeshaus fortsetzen. So habe es das Plenum am Montagnachmittag beschlossen. Der Vorschlag der Stadt Bern, das Camp auf die Schützenmatte zu verlegen, sei «nicht weiterverfolgt» worden.
Später hat die Stadt Bern den Klima-Aktivisten ein Ultimatum gestellt: Bis zum Dienstagmittag sollen sie den Bundesplatz verlassen. Ansonsten droht eine polizeiliche Räumung. Das Camp darf aber bleiben – allerdings soll auf den Waisenhausplatz gezügelt werden.
Der Nationalrat fordert die Berner Stadtbehörden am Abend auf, das unbewilligte Camp der Klimaaktivisten auf dem Bundesplatz aufzulösen. Er hat einen entsprechenden Ordnungsantrag von Thomas Aeschi (SVP/ZG) mit 109 zu 83 Stimmen angenommen.
Ein Gesuch der SVP für einen Anlass zur Begrenzungsinitiative auf dem Bundesplatz habe die Stadt Bern nicht bewilligt. Die Klimaaktivisten, die kein Gesuch gestellt hätten, würden aber toleriert.
«Wir sind der Meinung, dass man eine solche Aktion nicht einfach tolerieren sollte», begründete Aeschi am Montagabend seinen Antrag. Derweil hält die Demo auf dem Bundesplatz an.
Die Demonstranten harren auch gegen 22 Uhr bei Nieselregen hartnäckig auf dem Bundesplatz aus, wie Videos zeigen.
Am Nachmittag war Zoff auf dem Bundesplatz eskaliert: Vor dem Bundeshaus stehen verdutzte Politiker, Journalisten und Polizisten. Es ist teilweise so laut, dass kaum Gespräche möglich sind.
Verdattert vor dem Eingang steht auch der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried. Der ehemalige grüne Nationalrat lässt vor dem Bundeshaus eine regelrechte Schimpftirade über sich ergehen.
Absender der Wutrede ist der Zürcher FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann. Er sagt von Graffenried vor laufender Kamera ins Gesicht, dass er ihn persönlich schätze. Doch was er in Bezug auf die Besetzung des Bundesplatzes betreibe, sei «Missbrauch des Amtes».
Hintergrund: Die Aktion der Klima-Aktivisten ist tatsächlich illegal. Demos während der Session sind verboten. Ein Gesuch um Bewilligung gab es nie. Nationalratspräsidentin Isabelle Moret (FDP) und Ständeratspräsident Hans Stöckli (SP) fordern deshalb Kanton und Stadt Bern eindringlich auf, die Besetzung umgehend zu beenden.
Von Graffenried reagiert zurückhaltend auf den Frontalangriff des FDP-Vertreters. Er habe die Kritik zur Kenntnis genommen, sagt er zu Nau.ch.
Die Gespräche zwischen Stadt und Aktivisten am Mittag waren noch «ergebnisoffen» verlaufen, wie die Stadt Bern in einer Mitteilung schrieb. «Die Stadt stellt Bedingungen, zu denen seitens der Aktivistinnen und Aktivisten eine Rückmeldung in Aussicht gestellt wurde. Bis zu dieser Rückmeldung wird die Demonstration vorläufig geduldet.»
Folgendes erwartete die Stadt: Rettungsgassen für Sanität und Feuerwehr und störungsfreier Betrieb des öffentlichen Verkehrs.
Festival oder Klima-Aktion? Die «Sleeping-Zone» der Aktivisten auf dem Bundesplatz in Bern. – Nau.ch
Die Session der Eidgenössischen Räte dürfe nicht gestört werden und es dürfe auch zu keinen Lärmstörungen durch Lautsprecher oder Konzerte kommen.
Die Stadt Bern schrieb weiter, dass sie Hand für eine alternative Lösung zur «schwierigen Situation» auf dem Bundesplatz biete. «Wir haben den Demonstrierenden eine Bewilligung für ihre Aktion über die ganze Woche auf der Schützenmatte in Aussicht gestellt», lässt sich Gemeinderat Reto Nause zitieren.
Diesen Umzug lehnen die Aktivisten aber ab: «Wir haben beschlossen, dass wir bleiben. Vor allem aufgrund von Lärmbedenken wurde uns angeboten, auf die Schützenmatte auszuweichen. Wir sind aber bereit, in diesem Punkt Kompromisse einzugehen», sagt Mediensprecherin Meret Schefer zum «Bund». «Wir haben vor, wenn möglich bis Ende Woche zu bleiben.»
Sympathie für das Anliegen der Aktivisten zeigt Nationalrätin Aline Trede. Die Fraktionschefin der Schweizer Grünen sagt im Nau.ch-Interview, die freie Meinungsäusserung müsse gewährleistet sein.
Tatsächlich hat die Bernerin erfolglos dafür gekämpft, dass Kundgebungen während der Session zugelassen werden. Trede hofft auf eine Kompromiss-Lösung.