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In den nächsten Jahren werden viele Kaufhäuser aus den Innenstädten verschwinden. Deutschlands letzte große Warenhauskette Karstadt Galeria will 52 ihrer 129 Filialen schließen. Damit verabschiedet sich nicht nur langsam ein Stück Kulturgeschichte – schon Thomas und Heinrich Mann gingen gern im Kaufhaus einkaufen –, sondern auch ein Lebensgefühl. Wir erinnern uns an die grundsolide Welt hinter der Heißluftschwelle.
Ohne Karstadt wäre ich heute Single. Da bin ich mir ziemlich sicher. Denn wenn es wirklich drauf ankommt, ist Onlineshopping zu langsam. Und wenn man genau darüber nachdenkt, kommt es beim Einkaufen ziemlich oft drauf an. Etwa wenn man bei einem Stadtspaziergang eine neue Windel für sein Baby braucht oder eine Mappe für eine Bewerbung, die man bis zwölf Uhr abgeben muss. Oder wenn man zum Beispiel an einem Samstag im März gegen 16 Uhr erfährt, dass das Date, das um 20 Uhr beginnen soll, doch nicht in einem Restaurant, sondern in der eigenen Wohnung stattfindet; und diese Wohnung, gelinde gesagt, etwas ungemütlich wirkt, weil man sich nie die Zeit genommen hat, sie ordentlich einzurichten. Dann kann einen nur Karstadt retten.
Ich weiß das, weil ich vor drei Jahren an einem Samstag im März gegen 16.30 Uhr mit einer langen Liste, einem großen Rucksack und mehreren Taschen in die Karstadt-Filiale am Berliner Hermannplatz gestürmt bin. Auf der Liste stand unter anderem: vier Sofakissen und Bezüge, eine Sofadecke, eine Weinkaraffe sowie Biergläser, mindestens eine Zimmerpflanze, ein Badezimmerteppich und zusammenpassende Gästehandtücher. Sie merken schon: Die Wohnung war karg, der Mann mir wichtig.
Um 18.30 Uhr stand ich schwer bepackt und leicht verschwitzt wieder in meiner Wohnung. Noch genug Zeit zu duschen. Um 20 Uhr präsentierte ich dem Mann die gemütliche Wohnung, als wäre nichts gewesen. Sie gefiel ihm, ich wohl auch, denn er blieb. Heute wohnen wir zusammen – mit der Zimmerpflanze und den Sofakissen. Laura Sophia Jung
Ich kenne Menschen, die, wenn sie einen schlechten Tag haben, in die Kirche gehen. Nicht wegen Gott, eher, weil man weiß, was man bekommt. Es riecht immer nach Kerze und Holzbank, ist immer kalt und ruhig und die Menschen kommen einem irgendwie bekannt vor. Meine Kirche ist das Restaurant im obersten Stock eines großen Kaufhauses: Das kann Karstadt, Galeria, Kaufhof sein. Hier riecht es auch immer gleich nach Plastikpflanzen und Bratensoße. Es gibt immer artverwandtes Essen – Lachs mit Kartoffelbrei oder Schnitzel mit Pommes und Erbsen – das Interieur sieht immer nach Oma aus und die Menschen, die mit mir hier sind, auch.
Ich habe bisher in fünf Städten gelebt und immer gab es irgendeinen Regentag, an dem mein Schirm klemmte oder mein Herz weh tat und ich irgendwann im Kaufhausrestaurant in einer matschbraunen Ledersitzecke saß. Links neben mir immer eine kichernde Liselotte beim dritten Glas Sekt, rechts neben mir immer ein Ehepaar Wieland, beide begeistert vom Kartoffelsalat. Und ich: eingehüllt in dieses Alles-wie-immer- und darum Alles-wird-gut-Gefühl. Sara Tomšić
T-Shirts, Schulhefter, ein neues Paar Turnschuhe: Existiert heute noch irgendeines der Produkte, die meine Mutter damals auf unseren unzähligen gemeinsamen Karstadt-Besuchen gekauft hat? Vermutlich nicht. Die Dinge sind im Mahlstrom der Vergänglichkeit verschwunden. Geblieben ist mir vor allem Sensorisches, Gerüche, ein Gefühl von Wärme. Es sind meist düstere Winternachmittage in der ausklingenden West-BRD, die ich vor mir sehe, wenn ich an der Hand meiner Mutter den Karstadt meiner Heimatstadt betrat. Das Schwellenerlebnis war dabei für mich Vier-, Fünfjährigen bereits das eigentliche Ereignis. Wenn wir die Schleuse zwischen den beiden aus jeweils mehreren Glastüren bestehenden Pforten passierten: diese fantastische heiße Heizungsluft, die dort auf uns und alle anderen Kunden herabgepustet wurde! Zusammen mit dem Geruch der warmen Brezeln, die es nach dem Einkauf meist gab, wieder draußen auf der Bahnhofsstraße an einem kleinen fahrbaren Ständchen, ist das der vielleicht intensivste Geruch meiner Kindheit: die Karstädtische Heißluftschwelle.
Später, ich ging nun alleine in diese Kathedrale des Konsums, war es das Innere, was mich anzog. Die Waren. Wir zogen oft um, doch in jeder Stadt thronte verlässlich inmitten der Fußgängerzone: ein Karstadt – und war ebenso getreuliche Anlaufstelle für Fußballtrikots, Levi's-501-Käufe, Passfotos und die ersten Maxi-CDs. In einer kurzen verirrten Pubertätszeit sogar für Maschinenhaarschnitte beim integrierten, jawohl, Frisörsalon. Dann fing irgendwann das mit dem Internet an …
Neulich aber war ich tatsächlich noch mal da, ich brauchte auf die Schnelle eine Kuchenform. Es stellte sich eine große Überforderung zwischen all den Markeninseln ein, ein Hitze- und Schwitzgefühl in Schal und Wintermantel – am Ende schnappte ich mir irgendeine Form, der Kuchen misslang. Und die gute alte Heißluftschwelle gab es auch nicht oder ich habe sie gar nicht mehr gesehen. Johannes Ehrmann
So ein Kaufhaus hatte ja schon vor Corona etwas Postpandemisches, vor allem werktags, wenn man die endlosen Regalmeter abschritt, ohne jemandem zu begegnen. Nirgends stellte sich das postapokalyptische Gefühl des "Ist hier noch wer?" so zuverlässig ein, wie in der Abteilung für Herrenmode. Hier herrschten kopflose Puppen in Pullundern über Fürstentümer aus Kleiderstangen. Allein aus Respekt ihnen gegenüber begab man sich in die Umkleidekabine, bevor man eine Hose anprobierte. Aber Moment! War das ein Geräusch? Ein Mensch, eine Verkäuferin gar? Oder doch nur der Rundhals-Sweater, der vom Bügel gerutscht war? Das zusammengesackte Sockensortiment? Schlecht zu erkennen im Halbdunkel der unteren Etagen, ebenso wenig, ob einem die Hose nun stand oder nicht. Und so ging man einfach weiter durch die Gänge. Schlich seinen Gedanken hinterher, die längst verloren gegangen waren, und hätte sich auch nicht gewundert, wenn man hinter der rabattierten Reihe aus Winterjacken sich selbst begegnet wäre: kopflos und pullundertragend, auf dem Weg zur Feinkostabteilung im obersten Stock. Also hinterher, auf die Rolltreppe ins Licht. Alexander Krex
In Abwandlung eines populären Sprichworts möchte ich es mal so formulieren: You can take the girl out of Kaufhaus Schwager, but you can’t take Kaufhaus Schwager out of the girl. Was ich damit sagen will? Ich habe mir meine kleinstädtischen Erwartungen an Kaufhäuser bewahrt und werde deswegen nur selten enttäuscht. Ich kann mich auch eine Viertelstunde in der Ecke mit den Weckgläsern amüsieren, kein Problem. Denn ausschlaggebend ist doch meistens nicht, ob ein Kaufhaus Chanel-Taschen vorrätig hat – dafür geht man in Boutiquen oder halt ins KaDeWe, also eins der sogenannten Premiumhäuser. Die Frage ist vielmehr, ob ein Kaufhaus einem nicht jede Woche aufs Neue den Alltag so wunderbar erleichtert, dass man mit seinen Kompromissen froh werden kann.
Denn können Erwartungen an Produkte des Alltags nicht auch etwas bescheidener sein, muss es wirklich der von schottischen Aussteigern getöpferte Brottopf sein und die mit dem Propolis überglücklicher Bienen angerührte Handcreme? Meine Jugend im Provinzkaufhaus (die Stunden in der Plattenabteilung, das ewige Herumstehen bei den teuren Sweatshirts, das unauffällige Sichherumdrücken in der Zeitschriftenabteilung) hat mich etwas anderes gelehrt: Es ist zutiefst befriedigend, das Streben nach Perfektion aufzugeben, wenn es um Verbrauchsgüter, Kochlöffel, Socken und dergleichen geht. Im Übrigen hat man sich damit früher nicht unbedingt nur Mittelmaß eingehandelt: Ordentlich geführte Kaufhäuser hatten ein solides Sortiment, in dem ein Qualitätsversprechen lag. Zum Beispiel befand sich in dem Kaufhaus meiner Heimatstadt: der "größte Wäschemarkt des Weserberglandes", jawohl.
Die Idee, alles, was ich brauche, an einem Ort vorzufinden, will ich noch nicht aufgeben. Sie finden mich also sonnabends in der Shoppingmall. Auch hier gibt es im Prinzip alles unter einem Dach – nur zerlegt in seine Einzelteile, wie ein Puzzle, auf das man keine Lust hat. Carmen Böker
Es gab eine Zeit in meinem Leben, da konnte ich mit einem Blick sagen, ob Ihr Kopf, liebe Leserin, eher 62 Zentimeter Umfang misst oder 56. Nach einem "Hallo, kann ich Ihnen helfen?" konnte ich abschätzen, ob Sie nur ein Paar Thermosocken kaufen oder ob Sie genauso Spaß daran haben würden wie ich, dass ich Ihnen Klamottenkombinationen für die Umkleide zusammensuchen würde.
Mehrere Jahre habe ich im Herbst und Winter bei Karstadt Sport in der Wintersportabteilung in Bremen gearbeitet. Als 19-Jährige beriet ich erwachsene Männer, die mir über ihr Schweißproblem berichteten: ("Wissen Sie – mir läuft den ganzen Tag die Suppe!"), beobachtete Mütter, die bei ihren pubertierenden Kindern etwas übergriffig an den Jacken zupften ("Du Schatz, ich zieh das noch mal zurecht"), sprach mit Leuten, die 20 Kilogramm zugenommen hatten ("Aber zumindest bin ich weg von den Kippen"). Ich habe Willi Lemke shoppen sehen und leider den damaligen Werder-Spieler Per Mertesacker mit seinem Wunsch an Langlaufschuhen in Größe 47 (oder so in etwa) an Kollegen weiterverweisen müssen. Einer der schönsten Momente: Wie sich an Weihnachten nach der Hektik der Letzte-Minute-Einkäufe eine fast besinnliche Ruhe über die Verkaufsflächen legte.
Für mich war es das erste Mal, dass ich mit Menschen zusammenarbeitete, die so alt waren wie meine Eltern und an einem komplett anderen Punkt in ihrem Leben: Während ich mich mehr als einmal morgens an meinem kleinen grauen Tresen festhielt und überlegte, wie ich einen ganzen Arbeitstag nach zwölf Bier und zwei Stunden Schlaf durchhalten sollte, plante ein Kollege Grillnachmittage, die Kollegin redete über Vorteile von orthopädischen Hausschuhen mit runden Sohlen. Wenn man sein ganzes Arbeitsleben steht und trägt, geht das sowohl auf den Rücken als auch auf die Knie.
Sowieso, die Kollegen. Immer wieder habe ich in den Jahren danach gehört, dass Leute lieber ins Fachgeschäft gehen, anstatt zu Karstadt, wegen der Beratung. Lieber online kaufen als im Geschäft, weil es schneller und einfacher ist. Ich sehe das nach meinen Jahren bei Karstadt anders: Mein Kollege Peter, gebürtig aus dem Süden, konnte gefühlt die Vorteile jeder Skischuhschnalle der letzten 35 Jahre heruntergranteln – auch wenn sie gar nicht im Kaufhaus erhältlich war. Gordon, gebürtig aus dem Osten, konnte die Wassersäule jeder Sportjacke auswendig. So etwas kann keine Produktbeschreibung im Internetportal oder Chatbot ersetzen. Fiona Weber-Steinhaus
Was macht eigentlich der Konkurrent Breuninger anders?
Angenehme Verkaufsatmosphäre, genügend Personal, top Beratung und Konzentration auf durchaus qualitativ hochwertige, und ja auch hochpreisige Ware.
Kein Mensch braucht mehr Kaufhäuser und die immergleichen deutschen grauenhaften Fußgängerzonen (mit Starbuck‘s, NanuNana, Nordsee, etc.).
Die Dinge des täglichen Bedarfs werden online gekauft - ein durchschnittliches Kaufhaus hat ca. 200.000 Produkte, bei Amazon gibt es 500 Millionen, das erklärt alles! Zum Shoppen geht man höchstens, um ein wirkliches Shopping-Erlebnis zu haben, beispielsweise in erstklassigen Spezialläden oder im Luxussegment.
Und die Frage stellt sich mir schon länger, wer eigentlich bestimmt hat, dass die deutschen Innenstädte seit Jahrzehnten ausschließlich dem Kommerz vorbehalten sein sollen, inklusive völlig vereinsamter Plätze nach Feierabend.
Und vielleicht ist das Kaufhaussterben, das sicher nur der Anfang vom Niedergang des Einzalhandels ist, bei allen Verwerfungen auch ein Chance, den Innenstädten mit Wohnungen, Gastronomie, Kunst und Kultur wieder echtes Leben einzuhauchen.
Früher waren die Stadtzentren auch das Versorgungszentrum. Man fand dort ein gutes Angebot an Waren und Dienstleistungen incl. Hotel und Restauration. Diese Funktion ist weitgehend verloren gegangen. Einige Gründe haben Sie ja schon genannt. Hinzu kommen noch Supermärkte, Baumärkte und Elektromärkte mit einem stark erweiterten Angebot und reichlich Parkflächen in den Staddteilen und am Stadtrand. In der Folge verarmte das Angebot in den Zentren und die undurchdachten Versuche der Reinstallation in der vorherigen Form mußten notgedrungen scheitern.
Kaufhäuser haben aus meiner Sicht ihre Daseinsberechtigung verwirkt, als sich dort das Boutiquen-Prinzip durchsetzte: Anstatt wie früher alle schwarzen Damenhosen in Größe 36 an einem Kleiderdrehkreisel präsentiert zu bekommen, muss man seitdem zehn oder zwölf verschiedene Stationen ablaufen. Dafür ist mir meine Zeit zu schade. Ich will kein Erlebnis, sondern einfach nur die Dinge besorgen, die ich brauche.
da stimme ich Ihnen nicht zu. Das Shop System ist dann gut, wenn es gut gemanagt wird. Ich kann mich noch erinnern, vor 20 Jahren im Kaufhof in Leipzig, alles voll mit "Eigenmarken". Der Dreck der da verkauft wurde, war toll. Da ist ja sogar Primark besser.
Wenn ich in Leipzig teures Geschirr von Villeroy & Boch kaufen will, werde ich vom anheimelnden Duft der Fischsuppe in der Nachbarschaft eingenebelt. Gut, dass das bald ein Ende hat.
Fragt sich eigentlich nur warum man überüberteurtes Geschirr kauft ,wo man nur auf dem Boden stempelt erkennt das das wohl teuer war .
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