Nicht allein die Angst vor dem Coronavirus macht vielen Hammer Händlern schlechte Laune. Es ist auch und vor allem die Politik, die ihre Giftpfeile abbekommt. Aber auch manche Kunden stehen in der Kritik.
Hamm – „750 Euro, bitte. Wir haben unsere Preise erhöht. Schließlich müssen wir ja auch überleben“, sagt Andreas Kohl zu einer der wenigen Kundinnen, die gestern morgen in seinem Laden in der Weststraße einkaufen waren. Sie hat einen Porzellan-Engel gekauft. „Kleiner Scherz natürlich. Die sind ja wohl noch erlaubt“, sagt Kohl grinsend. Die Frau bezahlt die 7,90 Euro für den Engel. Kohl gibt ihr noch einen Spritzer Desinfektionsmittel auf die Hand. „Sicher ist sicher.“
So locker wie der Inhaber des Traditionsgeschäfts „Annemarie Kohl“ gehen die wenigsten Einzelhändler in Hamm mit den Auswirkungen der Corona-Welle auf ihr Geschäft um. Es herrscht Endzeit-Stimmung. Vielen Händlern bricht das gerade angelaufene Ostergeschäft wohl komplett weg. „Bis jetzt lief das richtig gut“, sagt Kohl. „Besonders die Textiler trifft das jetzt. Alle schwimmen und hoffen darauf, nicht unterzugehen.“
Besonders groß sind die Hoffnungen nicht, sagt Matthias Grabitz. Er ist Sprecher der Hammer Kaufmannschaft und Inhaber von Grabitz Mode. „Ich hatte eine weinende Händlerin vor mir stehen. Niemand weiß, wie es weitergeht“, so Grabitz. „Wir müssen nach wie vor alles bezahlen. Die Ware, die jetzt keiner mehr kauft, die Mitarbeiter, die Miete, Rechnungen. Einnahmen haben wir keine. Das ist eine große Katastrophe.“
Am Mittwoch war vor allem die Wut auf den Zickzack-Kurs der Politik groß. Was die Händler aufregt: Erst schlug die Bundesregierung am Montag Ladenschließungen vor. Dann verzichtete NRW am Dienstag als einziges Bundesland darauf. In der Nacht zu Mittwoch dann die Rolle rückwärts. Per Erlass wurde der Einzelhandel doch verboten. Die Krönung: Überrascht von der Regelung erlaubte Hamms OB Thomas Hunsteger-Petermann dann den Läden, noch einen letzten Tag zu öffnen. Erst seit Donnerstag wird der Erlass auch in Hamm umgesetzt.
„Ich bin maßlos enttäuscht, wie die Politik in einem solchen Krisenfall reagiert. Frau Merkel ist als Bundeskanzlerin offenbar nicht dazu befugt, Entscheidungen für das ganze Land zu treffen. Was ist das für ein Witzstaat, in dem wir leben?“ fragt Grabitz.
Die meisten Einzelhändler hielten sich am Mittwoch an den Erlass, von dem sie am frühen Morgen erfuhren. Sie öffneten deshalb gar nicht erst. Auch weil sie nicht wussten, ob sie sonst Konsequenzen zu spüren bekommen hätten. „Als ich um 8 Uhr im Rathaus angerufen habe, wusste niemand, ob ich öffnen darf oder nicht. Da habe ich es gelassen“, sagt eine Geschäftsfrau. Das Allee-Center entschied schon am Dienstagabend, dass alle Geschäfte die keine Lebensmittel oder Arznei- und Drogerieprodukte verkaufen, ab Mittwoch geschlossen bleiben.
Für das sorglose Verhalten vieler Menschen, die trotz gegensätzlicher Appelle bei Frühlingswetter durch die Stadt spazierten und dann vor verschlossenen Türen standen, haben die Händler wenig Verständnis. „Die Älteren sind die Schlimmsten. Die schlendern durch die Fußgängerzone, als wäre nichts“, sagt Buchhändlerin Margret Holota. „So ein Verhalten hat doch erst zur jetzigen Eskalation geführt. Wenn das so weitergeht kommen auch Ausgangssperren.“
Für einige lokale Händler geht die Arbeit jetzt hinter verschlossenen Türen weiter. „Wir haben noch einen riesigen Stapel Bestellungen hier liegen. Die verschicken wir entweder per Post oder liefern sie aus“, sagt Holota. Sie und Kohl wollen jetzt das Augenmerk auf ihre Onlineshops richten. Sagen aber auch: „Das rettet nicht den Einzelhandel.“
Auch von der Politik angekündigte Kredite würden nichts nützen, sind sich die Händler einig. Auf Schuldenschnitte oder Direktzahlungen hoffen sie nicht. „Wer soll das denn so flächendeckend bezahlen, wenn jeder Betrieb im Land betroffen ist? Die können ja nicht die ganze Nation subventionieren. Schließlich fehlen bald viele Steuereinnahmen, wenn es so weitergeht“, sagt Holota.
Die Ratlosigkeit grassiert im Moment nicht nur unter den Hammer Händlern. Auch Banken und Steuerberater – sonst zuverlässige und wichtige Ansprechpartner für die Kaufleute – wissen nicht weiter. Sie vertrösten die Anrufer.
„Alles wartet auf wirklich aussagekräftige Entscheidungen der Politik“, sagt Grabitz, der kein gutes Haar an der Hilfe-Hotline der Wirtschaftsförderung lässt. Dort werde man als Unternehmer nur auf bekannte Themen wie Kurzarbeitergeld oder Kredite hingewiesen. „Wenn sie nicht wissen, wie zu helfen ist, dann sollen sie auch nicht sagen, dass sie es tun können“, sagt Grabitz. „Das bringt uns dann allen nichts.
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